DIE GEISTER VON TUWA


In Tuwa lebt das zahlenmäßig kleine Turkvolk,„die Tuwiner, beiderseits der Grenze zwischen Sibirien und Mongolei, vom Altai-Gebirge bis westlich des Baikalsees. Sie leben heute auf den Territorien von drei Staaten: in der Russischen Föderation (Südsibirien), in der Nord- und Nordwest-Mongolei und im Altaigebirge Chinas (Zentralasien). … Über die Hälfte der südsibirischen Tuwiner lebt auf dem Land in Dörfern oder betreut als Nomaden ihre Herden in Steppe und Taiga. … Ein Großteil der heutigen Tuwiner in Südsibirien spricht als Muttersprache die tuwinische Sprache (tuw.: tyva dyl), eine Turksprache, die zur altaischen Sprachfamilie gehört." (Quelle: Wikipedia zu: "Tuwa")


Die Geister von Tuwa

 

Anett C. Oelschlägel hat in ihrem Buch „Der Taigageist“ Tuwinische Sagen gesammelt, „die von tatsächlichen oder mögliche Ereignissen sprechen, die von den Erzählern religiös gedeutet werden. … Das Erzählen einer Sage geschieht hier generell aus der Perspektive der spezifisch tuwinischen Varianten des Animismus und des Schamanismus.“

Die Sagen beschreiben das reale Leben der Tuwiner, denn das auch heutige Weltbild der Tuwiner ist „von permanenten Interaktionen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Subjekten“ geprägt. Zu den nichtmenschlichen Subjekten in der Weltsicht der Tuwiner gehören:

  • Himmelskörper, wie Vater Himmel und Mutter Erde, Vater Sonne und Mutter Mond; bestimmte religiös gedeutete Sterne sowie die Herren der Ober- und der Unterwelt. All diese Wesenheiten werden als Götter gedeutet.
  • Daneben gibt es zahlreiche Kategorien von Geistern, von denen die Herrengeister und die Schadensgeister die wichtigsten sind. Diese Geister setzen Regeln und Normen als Handlungsanweisungen für die Menschen fest. „Die wichtigsten Regeln und Normen werden durch die Herrengeister gesetzt, die als die wahren Eigentümer alles Nichtmenschliche in der Welt schützen und als deren „Anwälte“ gegenüber den Menschen auftreten. Sie überwachen das menschliche Handeln und Verhalten. Sie haben die Macht, Norm- und Regelbruch zu bestrafen und achtsame Menschen, die den Regeln der Interaktion folgen, zu belohnen.“ Um diese Weltsicht nachvollziehen zu können, ist es wichtig zu verstehen, dass diese Geister mit Bewusstheit, Willen, Verstand, Vernunft und Intelligenz ausgestattet sind.
  • Es gibt auch noch andere nichtmenschliche Subjekte, die im Gegensatz zu den Geistern keine solchen Eigenschaften besitzen und dennoch in der Welt wirksam sind. Anett Oelschlägel nennt hier: Energien, Landschaften und deren Bestandteile, Gebirge, Täler, Pässe, Quellen und bestimmte Bäume, aber auch Werkzeuge und sonstige Gebrauchsgegenstände.

 

All diese nicht-menschlichen Subjekte besitzen in der Tuwinischen Weltsicht eine Seele, und sie interagieren auf ihre Weise mit dem Menschen. Der Schamane kommuniziert mit diesen bewussten, vernunftbegabten, intelligenten und willentlich handelnden Wesen der Natur, den Geistern, Göttern und den anderen in der Welt handelnden, beseelten Entitäten. Er würdigt und anerkennt die Wirksamkeit der Elemente, der natürlichen Lebensräume und der in ihr befindlichen Tiere, Pflanzen und Steine, die sämtlich eine Seele besitzen, und arbeitet mit ihnen auf vielerlei Weise zusammen.

Oelschlägel bemerkt, dass Schamanen eben auch „Dolmetscher, Botschafter und Schlichter“ sind, die vermittelnd zwischen Menschen und Geistern tätig sind. Sie sind durch ihre Hilfsgeister berufen worden und ihnen ein Leben lang verpflichtet und dienen diesen und den Menschen, indem sie sich für das friedliche Miteinander beider Welten einsetzen. „Schamanen transportieren Botschaften zwischen Geister- und Menschenwelt… Sie treten als Wahrsager, Heiler und Ritualleiter auf.“